Vor der Abfahrt – Im Wechselbad der Gefühle

Mitte April 2023, noch sind es ein paar Tage hin bis zum Beginn meiner fünf monatigen Auszeit von der Arbeit ab dem 1. Mai. Fünf Jahre planen, in kleinen Schritten das Boot ausrüsten, Ideen entwickeln, einen Törnplan machen, bei meinen Mittwochsmitseglern für Teilnahme werben und dann fühlt sich alles so komisch an. Meine Frau Birte ist traurig, meine Mutter streitet sich mit meinem Bruder, mein Vater verabschiedet sich in mal kleinen mal großen Schüben in die Demenz. Kann ich da wirklich für fünf Monate fahren. Dazu die sehr unterschiedlichen Reaktionen der segelnden oder auch nicht segelnden Freunde und Kollegen, ….“hast du nicht Angst vor dem großen Tidenhub in Frankreich?“, „Biscaya, da ist doch immer viel Wind“, „…als ich 19hundert x und neunzig mit dem Minensucher da war….“.

Eigentlich will ich das alles gar nicht hören. Habe diese Reise so lange geplant und mit Euphorie darauf hin gearbeitet. Ich lade Nachbarn und Freunde für Freitag vor Abreise zu einer Abschiedsparty nach Hause ein. Am Anfang auch das mit Zweifeln, aber es wird ein großartiges Fest voller Optimismus, guter Wünsche und Gedanken.

Und dann ist es so weit. Am Samstagmittag kommt mein Studienfreund Uwe aus Münster, wir holen ihn vom Bahnhof ab und meine Frau Birte bringt uns zum Boot nach Mönkeberg. Und dann geht es ganz schnell, Leinen los, nach Holtenau rüber, 20 min vorm Kanal warten und dann in die Schleuse. Tor hinten zu, vorne nach ein paar Minuten auf und die Reise beginnt. Es ist Nachmittag, wir fahren bis nach Büdelsdorf. ES geht in griechische Restaurant Syrtaki zum Essen. Hier war ich im Oktober 1996 schon mal, nach dem mein Bruder Jens und Uwe Fleetwood in Bremerhaven abgeholt hatten. Uwe musste damals in Brunsbüttel aussteigen, heute bin ich mit ihm an der gleichen Stelle wie mit Jens 1996. Zunächst ist kein Platz für uns, erst als ich die Geschichte erzähle wird die Bedienung locker. Am Ende hat die Wirtin für jeden 4 Ouzo spendiert und wir sind zufrieden. Die Wirtin ist noch die Gleiche wie vor 27 Jahren, kann sich aber doch nicht mehr erinnern.

Der nächste Tag bringt uns nach Brunsbüttel und wir fahren nach einem Nachmittagsschlaf um 23:30 mit ablaufendem Wasser auf die Elbe. Passender bis kein Wind und es ist in der Nacht mit 3 Grad schmerzlich kalt. Norderney wird unser erstes Etappenziel. (87sm) Uwe trifft seinen alten Freund Günther und wir verbringen ein paar gute Stunden miteinander. Ein Hafentag am 02.Mai bei zu viel Wind aus Nord am Dienstag, aber am Mittwoch geht es weiter nach Scheveningen in Holland. Wieder über Nacht. Auslaufen um 12:30, einlaufen um 12:35: 172 sm in 27 Stunden, Tide und Strömung gut ausgenutzt. Aber auch diese Nacht ist sehr kalt und der Hafentag in Scheveningen ist nötig. Fisch und Chips sind sehr lecker! Zum Sightseeing geht es nach Den Haag, auf dem Haags Markt ist der gebackene Fisch dann noch besser als In Scheveningen

Das ist ein gutes Prinzip: eine langer Schlag und dann einen Tag ausruhen. Passt zur Tide und es erspart uns den doch weiten Weg links ab zu den Häfen hinter den Inseln. Wir wechseln uns im zwei Stunden Rhythmus ab, für mehr ist es zu kalt. Wir lassen mit dem nächsten Schlag Belgien links liegen und Motoren nach Dunkerque in Frankreich (97sm). Der Schlag ist entspannt, hin und wieder schaut mal ein Seehund aus dem Wasser und auch ein paar andere Frühjahrssegler sind mit Motor unterwegs.

Bologne Sur-Mer ist der nächste Hafen (60sm). Der Schlag ist teilweise nervenaufreibend, nach anfänglich rauschender Fahrt mit der Tide müssen wir am Cap Griz Nez recht lange gegen fast 4 kn Strom anfahren, Fazit: drei Stunden zu spät ausgelaufen, kann passieren.
Wir lernen in Bologne Sur-Mer Trans-Ocean Segler Jochen kennen, er hilft beim anlegen und fordert sich sein Unterstützungsbier ein! Jochen ist zunächst auch alleine nach Galizien unterwegs. Wir werden einige Tage zusammen segeln. Angesichts unseres guten Vorankommens sehen wir zunächst mal von weiteren Nachtschlägen ab und fahren nach Dieppe (53sm). Ich bin schwer beeindruckt von dieser französischen Stadt mit bestem Hafenfeeling. Fühle mich an St. Tropez erinnert. Sogar die Sonne unterstützt das Gefühl. Ein langer Spaziergang führt erst zur Chapelle Notre-Dame –de-Bon-Secours auf der Nordseite des Hafens und dann zum Chateau-Musée auf der Südseite. Der Rückweg durch die quirligen Gassen der alten Stadt wird dann von Cappucino und Petit Gateau gekrönt.
In Dieppe lerne wir Eva und Carsten kennen, die hier schon seit ein paar Tagen auf dem Weg ins Mittelmeer pausieren. Für die nächsten Tage  bilden wir ein lustiges Bootstrio.

In Dieppe gibt es erstmals eine Süßwasserspülung fürs Boot, mit der Hand übers Cockpitsüll gefahren könnte man mit dem abgewischten Salz direkt Kartoffeln kochen…das steckt übrigens an. Nach wenigen Minuten spülen drei Bootscrews.

Am 12.Mai segeln wir einen kleinen Schlag nach Fécamp (32sm). Die Tide schiebt ordentlich, alles richtig gemacht und gerade vor einem verregneten Nachmittag haben wir Leinen fest.

Der Samstag bringt uns zunächst bei ungemütlichen NNE5-6 Bft in eine anspruchsvolle See von bis zu 2 m. Wir setzen Segel im Hafen und dann geht die rauschende Fahrt los. Fleetwood macht sich prächtig, trotz immer wieder brechender Kämme kein Wasser im Cockpit. Bei 7,5-9 kn auf der Logge sind wir zunächst mit bis zu 10,5 kn über Grund unterwegs. Die Quittung kommt natürlich ein paar Stunden später nachdem die Tide gekippt ist und bei stark nachlassendem Wind sind es bei 5 kn durchs Wasser auf einmal nur noch 3 kn über Grund. Gut, dass nur Nipptide bei Halbmond ist, bei  Springtide hat man hier bis zu 3,8 kn Strom. Um 09:39 überqueren wir den Nullmeridian! „Vergesst die Meridiantaufe nicht“ meint Jochen über Funk. Hhm, Meridiantaufe? Noch nie gehört. Egal wir holen einen Becher Salzwasser aus dem Meer und benetzten respektvoll unsere Stirn. Anschließend gibt es aus dem Becher einen minimalen Schluck Rum ohne natürlich vorher etwas zu opfern. Taufe gelungen.

Um 00:00 Uhr erreichen wir  nach 82,4 sm Cherbourg, wo mit Wolfgang unser dritter Mann für den Schlag über die Biscaya zu uns stoßen wird.
Zunächst ankern wir aber hinter der äußeren Mole um nicht im Dunkeln noch einen Liegeplatz im riesigen Yachthafen suchen zu müssen. Das machen wir in der Mittagszeit, nach langem ausschlafen, angemessenem Frühstück und vor allem nachdem der Morgennebel abgezogen ist. Hier treffen wir unsere Freunde wieder und es kommt jetzt noch Peter von der Taugenichts und Jürgen dazu.

Wir verbringen einen wunderbaren Abend auf dem Steg, ein „Mitbringbuffet“, dazu zunächst Rotwein, dann später Glühwein machen den Abend zu einer runden Sache.

IMG_4871
ENRD7865-kl

Großer Dank an meine Freunde für diese und noch mehr Weggeschenke

Fleetwood im NOK,
Christiane&Peter, Roswitha&
Klaus feuern uns an!

P3820078-kl
P3820070-A-kl
IMG_4622-kl
IMG_4658-kl

Schleuse Bruns- büttel, hinaus auf die Elbe

Unterwegs nach Norderney -
Sonnenaufgang nach einer saukalten Nacht

IOUG5280-kl
AHEV2756-kl

Scheveningen & Den Haag: holländischer Backfisch ist der Beste

Hafentag mit Ausflug nach Den Haag

AMIO2539-kl
XSFK1600-kl

Unterwegs nach Westen

IMG_4763-kl
HYAC5435-kl

Dieppe, 6 m Tiedenhub

PQQO2764-kl

Salz von der Kajüte

IMG_4835-kl
IMG_4892-kl IMG_4893-kl

0-Meridiantaufe

URDT8165

Fleetwood vor der französischen Kreideküste

HCVM6668

Steg Party mit neuen Freunden in Cherbourg